Blattkritik: „Das Kanzler-Märchen von Mann und Frau“

Das ist ein besonderes Stück von „Journalismus“ - erstmals werden im Brustton der Rechthaberei ganz einfache wissenschaftliche Tatsachen geleugnet und auch noch als „Faktencheck“ verkauft.

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Das Corpus delicti:
https://www.profil.at/faktiv/das-kanzler-maerchen-von-mann-und-frau/402784435 (Archivlink hier)

Das ist ein besonderes Stück von „Journalismus“ – erstmals werden im Brustton der Rechthaberei ganz einfache wissenschaftliche Tatsachen geleugnet und auch noch als „Faktencheck“ verkauft.

Nachdem die Chefredakteurin Anna Thalhammer sich dem mehrfach angebotenen Gespräch verweigert und das gute Stück immer noch online ist, stellen wir das hier mit unseren bescheidenen Mitteln selbst richtig.

  1. Titel und Untertitel
    „Das Kanzler-Märchen von Mann und Frau – Karl Nehammer behauptet, es gebe nur zwei Geschlechter. Die Wissenschaft beweist das Gegenteil.“ Frage: Was ist das Gegenteil von zwei?

  2. Die Autorin Franziska Dzugan verwechselt die Definition von Geschlecht (männlich=kleine Samenzellen / weiblich=große Eizellen) mit der Determination im Individuum. Das ist ein Fehler, der einer Wissenschaftsredakteurin nicht passieren sollte. Zwar zitiert sie Helmut Schaschl (Humangenetiker), aber der hat natürlich auch nur über die genetische Determination des Geschlechtes geredet und nicht über das gonadale Geschlecht, das evolutionär über alle Arten hinweg ein universelles Prinzip darstellt.

    In den Worten von Richard Dawkins:
    Geschlecht wird weder durch Chromosomen, noch durch Anatomie, noch durch Psychologie oder Soziologie, noch durch persönliche Neigung, noch durch die „Zuordnung bei der Geburt“ definiert, sondern allein durch die Größe der Keimzellen. Es wird embryologisch FESTGELEGT durch Chromosomen bei Säugetieren und (in umgekehrter Richtung) Vögeln, durch die Temperatur bei einigen Reptilien, durch soziale Faktoren bei einigen Fischen. Aber es wird universell DEFINIERT durch die binäre Unterscheidung zwischen Spermien und Eizellen. Geschlecht gehört zu den wenigen Aspekten der Biologie, die tatsächlich BINÄR sind.“

  3. Intersexualität ist ein schon lange verlassener (und auch diskriminierender) Begriff, die korrekte Bezeichnung ist „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (VdG). Es handelt sich um Männer und Frauen, deren Geschlechtsmerkmale aufgrund sehr seltener genetischer Aberrationen mal mehr männlich oder mal mehr weiblich erscheinen und mehr oder weniger Symptome mit sich bringen. Die Häufigkeit von VdG  wird unterschiedlich mit 1:20.000 bis 1:50.000 Geburten angegeben.
    Dass der Gesetzgeber sich dazu entschlossen hat, dem Mythos vom dritten Geschlecht mit der Bezeichnung „divers“ in den Personenstandsdokumenten Rechnung zu tragen, ist – aus wissenschaftlicher Perspektive – eine bedauerliche Tatsache. Die Anerkennung von Rechten und Freiheiten für alle Individuen in unserer Gesellschaft sollte ohne falsche Zuschreibungen auskommen.

  4. Wegen der Verwechslung von Geschlechtsdefinition (gonadales G.) und Geschlechtsdetermination (genetisches G.) versucht uns Frau Dzugan auch zu verkaufen, dass männliche Personen (hohe Testosteron Level!) im Frauensport mitmachen können, wenn sie „intersexuell“ sind, weil sie das ja, in ihrer Logik, zu einem dritten Geschlecht macht.

    Das ist auf zwei Ebenen bemerkenswert falsch: a) s. oben – Geschlecht gonadal und genetisch nicht auswechselbar. b) Was macht männliche Personen mit VdG zu Frauen?

VdG Personen waren ja auch der Anlass zu diesem deplorablen Artikel. Eine „renommierte Medizinerin“ stolperte über die Aussage des Kanzlers und war – nicht wissenschaftlich, sondern moralisch empört. Das passiert ja in diesen Tagen öfter. Sie fand, das sei „ein Schlag ins Gesicht (…) von Menschen (…), bei denen das genetische und das phänotypische Geschlecht verschieden sind“ – also Menschen mit einer VdG.

Wir finden es bedenklich, dass man das Profil auf Zuruf dazu bringen kann, die eigene moralisch-politische Agenda mit einem Propagandastück journalistisch durchzusetzen.

Wir finden es entsetzlich, dass das Profil die Nüchternheit, die einen „Faktencheck“ auszeichnen sollte, nicht nur verlassen hat, sondern darauf trotzig beharrt.

Wir haben diesen Etikettenschwindel von Profil auch dem Presserat mitgeteilt.

Wien, 14.3.2024

Ass.-Prof. Dr. Martin Fieder
Dr. Bettina Reiter

Nachtrag vom 09.04.2024 EGGö-Redaktion:

Erhaltene Info Presserat

Der zuständige Senat 2 hat sich in seiner letzten Sitzung mit Ihren Eingaben befasst wegen des Beitrags „Das Kanzler-Märchen von Mann und Frau“, erschienen am 19.02.2024 auf „profil.at“ in der Rubrik „faktiv“.

Den dazu ergangenen Brief an die Chefredakteurin des Mediums finden Sie online unter https://presserat.at/rte/upload/entscheidungen_2024/brief_2024_059_08.04.2024.pdf.

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