EGGö – Veranstaltung 7.3.23 Bericht, Keynote und Fotos

von der EGGö-Veranstaltung: Geschlechtergerechtigkeit Quo Vadis? Diskussion zu Diversität, Differenz und Inklusion. Podium mit Faika El-Nagashi, Kurt Krickler, Regula Stämpfli und Hannah A.

Update: 15.03.2023

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Bericht zur Veranstaltung

„Geschlechtergerechtigkeit Quo Vadis? – Diskussion zu Diversität, Differenz und Inklusion“ der EUROPÄISCHEN GESELLSCHAFT FÜR GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT Österreich (EGGö) am 7.3.2023

Keynote:
Bettina Reiter, Psychiaterin und Psychoanalytikerin, Vereinsvorstand und Gründungsmitglied der Plattform Respekt.net, Gründungsmitglied EGGö.
Podium:
Faika El-Nagashi (Nationalratsabgeordnete der Partei Die Grünen und lesbisch-feministische Aktivistin).
Kurt Krickler (Pionier der österreichischen Homosexuellenbewegung HOSI Wien).
Regula Stämpfli (Schweizer Historikerin, Politphilosophin, Podcasterin und Autorin)
Die Studentin Hannah A.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Mitbegründerin und Obfrau der EGGö, Elfi Rometsch.

Die Veranstaltung war für den österreichischen Kontext ein historisch signifikantes Ereignis
Im Zentrum der auf mehreren Ebenen geführten Diskussion stand das Gesetz der „geschlechtlichen Selbstidentifikation per Sprechakt“ (kurz: „Self-ID“), welches das biologische Geschlecht als geschützte politische Kategorie durch eine auf Immateriellem beruhende „Geschlechtsidentität“ ersetzen soll. Das von mehreren österreichischen Parteien geforderte und in Deutschland bereits offen diskutierte Gesetz würde nicht nur das Grundrecht und bürgerliche Rechte untergraben. Die damit einhergehenden Begriffsverwirrungen und -umdeutungen (Gender, Geschlecht, Identität,..) haben verheerende Auswirkungen: nicht nur auf die Gleichstellung von Mann und Frau, sondern auch auf die Rede- und Pressefreiheit.
Es gilt nun die imperative Forderung, die physische und materielle Realität des biologischen Geschlechts zu leugnen – sonst drohen neben Denunziation und Zerstörung von Karrieren auch strafrechtliche Konsequenzen. Die Änderung des Geschlechtseintrags von Mann zu Frau oder umgekehrt hat somit direkte Auswirkungen auf das gesamte Umfeld der betroffenen Person sowie die Gesellschaft an sich.
Im Podiumsgespräch wurde neben der Schilderung von persönlichen Erfahrungen mit Anfeindungen, Mobbing und Verunglimpfung aufgrund von kritischen Äußerungen zu Self-ID auch versucht, den Reiz der Idee einer immateriellen, bloß subjektiv wahrnehmbaren und auf (sexistischen) Stereotypen basierenden Geschlechtsidentität im gegenwärtigen Kontext des neoliberalen, von zunehmender Digitalisierung geprägten (Finanz-)Kapitalismus zu erklären. Eingegangen wurde auch auf gegenwärtige Trends in diesem Zusammenhang und auf deren Aus- und Wechselwirkungen auf Psyche und Politik.
Anschließend gab es zahlreiche Wortmeldungen aus dem Publikum, mit dem die Podiumsgäste engagiert interagierten. Mehrfach wurde die Notwendigkeit der Vernetzung und gegenseitigen Unterstützung betont: Es müsse im politischen Diskurs eine eindeutige, klare und wirklichkeitsbezogene Sprache verwendet, und Begriffsverwirrungen aufgezeigt und vermieden werden. KritikerInnen des Gender-Self-ID Gesetzes dürfen sich nicht erpressen und zum Schweigen bringen lassen, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen und ggf. Klagen einreichen – wobei an dieser Stelle die Notwendigkeit von Vereinen, Verbänden und Gewerkschaften hervorgehoben wurde, da diese den Einzelpersonen Rückhalt und Unterstützung geben können. Trotz allem sind die Podiumsgäste optimistisch, dass eine Vielstimmigkeit in der Debatte zu Geschlecht(sidentität) für Veränderung sorgen kann. Das Ziel der EGGö ist, für Aufklärung, Bewusstsein und eine ausgewogene Debatte zu sorgen. Beim Ausklang wurde die lebendige Diskussion noch in kleineren Kreisen fortgesetzt.

Bettina Reiter: „Der sich entfaltende Kapitalismus will, dass wir nicht wissen, wer wir sind und was wir wollen!“

Bettina Reiter wies im Keynote-Vortrag auf die Unvereinbarkeit von (geschlechtlicher) Selbstidentifikation mit dem demokratischen Anspruch der Verhandelbarkeit und Diskussionsbereitschaft hin. Sie erkennt eine zunehmende Tendenz innerhalb der politischen Linken zu totalitärem Denken und zieht Parallelen zu rechtsradikalen, reaktionären „Identitären“ – ihrer Ansicht nach eine Folge der neoliberalen, narzisstisch organisierten „anything goes“ Gesellschaft, die letztendlich zu Zusammenbruch und psychischer Verarmung führt. Die explorative, ergebnisoffene Arbeit, nicht zuletzt auch im Rahmen der Psychotherapie, wird durch Self-ID erschwert bis verhindert, wenn das „gefühlte Geschlecht“ nicht mehr in Frage gestellt werden darf. Sie kritisierte, dass Menschen jenseits der Meinungselite nicht über die vielen Implikationen von Gender Self-ID und darüber, was alles unter „Konversionstherapieverbot“ fällt, informiert werden. Längst geht es nicht mehr darum, Homosexuelle zu schützen. Im Gegenteil: beispielsweise kann eine lesbische Frau durch eine gefühlt „männliche“ Geschlechtsidentität zum heterosexuellen Mann werden.

Faika El-Nagashi: „Die Fairness zwischen Geschlechtern als faktische, materielle Tatsache ist nun unerwünscht“

Aufgrund ihrer kritischen Äußerungen auf Twitter und in einem Interview mit dem FALTER erlebte die jahrzehntelange passionierte LGBT-Aktivistin und Integrationspolitikerin Faika El-Nagashi innerhalb der Grünen wie auch im Lesbenverband heftige Anfeindungen und Verluste persönlicher Beziehungen. Von einer Lesbenkonferenz, die sie früher mitorganisiert hat, wurde sie ausgeladen. Jegliche Abweichung von dogmatischen Positionen hat Konsequenzen: einerseits die Streichung finanzieller Förderungen für Projekte von und für Frauen und Lesben, andererseits üble Nachrede bis hin zum Rufmord, absurde Zuschreibungen wie „rassistisch“, und „antisemitisch“, und sogar Gewaltaufrufe.

Kurt Krickler: „Wenn man diese Tür öffnet, dass Befindlichkeiten über wissenschaftliche Fakten gestellt werden, was wird danach noch alles kommen?“

Von einem regelrechten „Psychoterror“ spricht Pionier der Schwulenbewegung Kurt Krickler, der von der HOSI (Homosexuelleninitiative) Wien, die er mitbegründet hat, im Jahr 2018 austrat. Die HOSI hatte eine Petition gegen Faika El-Nagashi, die der „Transfeindlichkeit“ beschuldigt wurde, lanciert. Derartiges habe es in den 40 Jahren, in denen Krickler Teil der HOSI war, noch nie gegeben. Die neue Form des Umgangs mit Kritik sei die Diskussionsverweigerung. Krickler zieht Vergleiche mit religiösen FanatikerInnen, EsoterikerInnen und Corona-LeugnerInnen. Nachdem die Forderung von Homosexuellen nach der „Ehe für alle“ 2019 erfüllt wurde – so vermutet er – gebe es nun keine neuen politischen Ansätze mehr, weshalb dieses Vakuum inzwischen von neuen Gruppierungen rund um diffuse „queere Geschlechtsidentitäten“ gefüllt wird.

Hannah: „Der sogenannte intersektionale Feminismus steht nicht für Frauen ein“

Studentin Hannah wurde als Jugendliche mit Interesse an Geschlecht und Machtstrukturen auf Sozialen Medien mit den Ideen des „intersektionalen Feminismus“ vertraut gemacht. Entgegen ihrer Annahme, dass dieser für Frauenrechte einstehe, stellte sie fest, dass er eher sexistische Stereotype fördere als bekämpfe. Die von ihr gefolgten „feministischen“ Seiten waren vor allem auf Make-up und Kleider tragende Männer fokussiert, für die „Frau“ bloß eine Art Kostüm sei, eine performative Identität, die auf Äußerlichkeiten basiert und die man(n) sich aneignen kann. Hannah verfolgte die kontroverse Debatte zwischen TransaktivistInnen und manchen Feministinnen und kam zum Schluss, dass einige Frauen wie etwa JK Rowling wirklichkeitsbezogene Argumente vorbringen, welche sie aufgrund ihrer Verifizierbarkeit überzeugen konnten. Hannah hofft auf einen Feminismus mit einem Fokus auf Frauenanliegen und Vernetzung zwischen Frauen.

Regula Stämpfli: „Der Finanzkapitalismus hat die Fiktionalisierung der Welt gebracht“

Mit den Codes digitaler Medien, mit Putinismus und Trumpismus hat sich Regula Stämpfli beschäftigt: Soziale Medien nutzen unsere biologischen Mechanismen (z.B. Reaktionen auf „Likes“) aus und fördern Empörung, Skandalisierung, simple Kategorisierungen von „Freund“ und „Feind“ und Unterhaltung. Nicht die zugrundeliegende Struktur von Problemen sei interessant, sondern ein besonders emotionalisierendes Narrativ. Als Nebeneffekt der Digitalisierung beobachtet sie eine Zerstörung der Demokratie durch technische Formen, sowie Wahrheitsverlust durch „algorithmische Fiktion“. Unglücklicherweise wird diese durch die Nachrichtenmedien ohne Hinterfragen übernommen: über Relevanz entscheidet die Mehrheit. Man dürfe den Einfluss der Sozialen Medien nicht unterschätzen, denn viele Vertreter der „klassischen“ Medien wie etwa Zeitungen sind auch online vertreten. InfluencerInnen greifen Themen auf und teilen sie mit ihrem Publikum im Netz, wodurch sich leicht „Fake News“ verbreiten.

Autorin: Anahita Karmen A.  

Keynote von Bettina Reiter

Bildergalerie – EGGö Veranstaltung am 07.03.2023 zum Weltfrauentag

Podium EGGö Veranstaltung 07.03.2023

Alle Fotografien sind urheberrechtlich geschützt. Das Copyright liegt bei © Murtaza Elham.

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